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März 2007: WDR-Zweiteiler

Firma Chemie Grünenthal GmbH erwirkt beim Landgericht Hamburg einstweilige Verfügung gegen
den WDR sowie die Zeitsprung Film + TV
Produktionsfirma GmbH

Untersagt wird die Verbreitung von 15 Falschdarstellungen im Drehbuch zum Zweiteiler mit dem vorläufigen Titel "Eine einzige Tablette".

Der Bundesverband Contergangeschädigter e.V. mit Sitz in Köln nimmt wie folgt Stellung:

Vorgeschichte

Mitte des Jahres 2005 kommt der WDR auf Margit Hudelmaier, Vorsitzende des Bundesverbands Contergangeschädigter e.V., mit der Bitte zu, sie möge unterstützend bei der Suche nach einer Kinderdarstellerin mit Gliedmaßenfehlbildung (Amelie/Phokomelie) für den Film "Eine einzige Tablette" mitwirken. Die gleich lautende Bitte geht auch an die Aktion Mensch sowie den Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. Margit Hudelmaier tritt vermittelnd auf. Zu einem Erfolg führen diese Vermittlungsversuche jedoch nicht. Der WDR sucht selbst weiter, ohne den Bundesverband über den Fortgang auf dem Laufenden zu halten. Eine Beratung in Bezug auf die Inhalte des Films oder auf die Gestaltung bzw. auf Formulierungen des Drehbuches fand nie statt.

Im ersten Quartal des Jahres 2006 erreicht Margit Hudelmaier eine Mitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft "Selbsthilfe" (BAGS), wonach die Firma Chemie Grünenthal GmbH dem WDR die Verbreitung von 15 Falschdarstellungen gerichtlich untersagen ließ. Den Pressemitteilungen und Presseartikeln Mitte März 2006 ist zu entnehmen, dass sich die Firma Chemie Grünenthal GmbH insbesondere gegen die Falschdarstellung wehrt, die Behörden hätten die Abgabe von Contergan verboten, nachdem Grünenthal das Medikament ein Jahr und drei Monate nach der ersten Verdachtsäußerung noch immer nicht aus dem Handel zurück gezogen habe. Ferner sei nach Meinung Grünenthals falsch, dass das erste Entschädigungsangebot der Firma nur 10 Millionen D-Mark betragen hätte und dieses mit der Maßgabe unterbreitet worden sei, es müsse sofort angenommen werden, ansonsten es sich täglich um 1 Million D-Mark verringere. Erwirken wollte die Firma Chemie Grünenthal auch, dass in dem als Fiktion verstandenen Film die Namen "Grünenthal" und "Contergan" nicht genannt werden.

Anderen Presseberichten zufolge fühlt sich auch der Rechtsanwalt Karl-Herrmann Schulte Hillen sowohl durch die Falschdarstellung seiner Person im Film als auch durch eine Verdrehung der damaligen Tatsachen in seinen Pers�nlichkeitsrechten verletzt, was nun wohl auch durch das Hamburger Landgericht in allen Klagepunkten bestätigt wurde.

Die Haltung des Bundesverbandes
Der Bundesverband beriet mit seinen Mitgliedsverbänden in der Mitgliederversammlung 2006 den Sachstand. Ergebnis der Beratung war, dass nur eine korrekte Berichterstattung im Sinne der Betroffenen sein kann. Das Drehbuch konnte jedoch von der Firma Zeitsprung nicht zur Verfügung gestellt werden, da es sich bereits um ein schwebendes Verfahren handelte.

Nach Auffassung des Bundesverbandes hätte der Zweiteiler die Chance einer zeitkritischen Aufarbeitung der Ereignisse um einen der größten Arzneimittel-Skandale in der deutschen Nachkriegsgeschichte haben können. Gerade weil es sich bei dieser Art der Aufbereitung der historischen Ereignisse nicht um einen Dokumentarfilm, sondern um einen Spielfilm handelt, der ursprünglich im Herbst 2006 im ARD-Programm zu sehen sein sollte, hätte ein breites Fernsehpublikum erreicht werden können. Nach Auffassung des Bundesverbandes hätte die Ausstrahlung eines solchen Films zur Sensibilisierung der öffentlichkeit beitragen und wichtige Diskussionen über die historischen Ereignisse sowie die aktuellen Lebensumstände der Conterganopfer anstoßen können. Die Bevölkerung geht davon aus, dass contergangeschädigte Menschen finanziell abgesichert und sozial integriert sind. Die mittlerweile aufgetretenen Folgeschäden werden nicht wahr genommen.

Der Bundesverband ist sich durchaus bewusst, dass ein solcher Fernsehfilm starke Emotionen hervorrufen, verschüttete Erinnerungen wachrufen und längst geheilt geglaubte Wunden ankratzen kann. Aus Sicht der Conterganopfer ist es aber auch unumgänglich, derartig emotional behaftete und zwischenmenschlich schwierige Wege zu beschreiten, um die Vergangenheit besser verstehen zu können, für die gegenwärtigen Lebensumstände stärkeres öffentliches Interesse zu wecken und zur Bewältigung der bevorstehenden Altersprobleme neue Kräfte mobilisieren zu können.

Allerdings bleiben dem Bundesverband im konkreten Fall Zweifel: Zwar soll ein Ziel der Produktionsfirma nach den Presseberichten gewesen sein, in einer dramatischen Geschichte die Gegebenheiten der 60er und 70er Jahre anhand von Menschen zu erzählen, denen das passiert ist. Inwieweit die Firma dabei die öffentliche Faktenlage, die in Büchern, im Internet und von Betroffenenvereinen zu erfahren ist, beachtet, kann seitens des Bundesverbandes nicht beurteilt werden.

Zwar war Presseberichten zu entnehmen, dass einzelne Betroffene, deren Namen dem Bundesverband nicht bekannt sind, beratend am Drehbuch mitgewirkt haben. Doch seitens des Verbandes kann nicht beurteilt werden, ob diese fiktionale Filmproduktion als Kunstwerk in geeigneter Weise dazu beiträgt, das Thema Contergan adäquat aufzuarbeiten. Unbestritten ist für den Bundesverband, dass eine geeignete Plattform für die Bearbeitung eines derart sensiblen Themas f�r die Betroffenen gefunden werden muss. Ob jedoch dieser Film eine solche Plattform bieten kann, entzieht sich unserer Kenntnis, da uns das Resultat der Produktion völlig fremd ist. Auch auf Nachfrage bei Journalisten, die den Film wohl trotz Sendeverbotes bereits gesehen haben, bestehen Zweifel darüber, ob die Ungereimtheiten zum Contergan-Prozess abschließend ausgereichen können. Bis heute gibt es zu bestimmten Sachverhalten, wie z.B. zum Prozessausgang, kontrovers geführte Diskussionen, und das nicht nur unter den Betroffenen.

Tatsache ist, dass der Name Grünenthal immer in der Verbindung mit der Contergan-Katastrophe Bestand haben wird. Die Betroffenen werden keine Rücksicht auf eventuelle Firmenschäden nehmen. In diesem Zusammenhang bemerkt der Bundesverband, dass - verfolgt man die aktuellen Zeitungsberichte - in der Auseinandersetzung zwischen Grünenthal und Schulte Hillen einerseits und dem WDR bzw. der Produktionsfirma andererseits mittlerweile das Schicksal der Betroffenen eine untergeordnete Rolle spielt. Vielmehr stehen medienrechtliche und finanzielle Interessen im Vordergrund. Es geht hier um viel Geld. Wird der Film nicht ausgestrahlt, werden hohe Produktionskosten in den Sand gesetzt.

Bei allem Bedauern über eine mögliche verpasste Chance einer adäquaten medialen Aufarbeitung der Contergan-Katastrophe kann und wird sich der Bundesverband aus diesen Gründen für keine der beteiligten Parteien stark machen und wird deshalb die Klärung den zuständigen Gerichten überlassen.

im März 2007